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Beirut: A Study Of Losses (Review)

Artist:

Beirut

Beirut: A Study Of Losses
Album:

A Study Of Losses

Medium: CD/LP/Download
Stil:

Art-Pop, Folkpop, Singer-Songwriter, Indie-Folk, Mariachi, Neo-Klassik

Label: Pompeii Records
Spieldauer: 58:02
Erschienen: 18.04.2025
Website: [Link]

Sein Gesang transportiert per se eine gewisse Schwermut, aber auch ganz ohne Worte kommt Zach Condon wohl nicht aus seiner Haut. Also lässt schon der instrumentale Opener des neuen Albums von BEIRUT erahnen, dass es wieder mal melancholisch zugeht im Klang-Kosmos dieses inzwischen überraschend langlebigen Indie-Folkpop-Projekts. "Disappearences And Losses" stellt auch gleich das aktuelle Thema des Musikers vor: Er orientiert sich in gleich 18 Tracks am 2018 erschienenen Buch "Verzeichnis einiger Verluste" der deutschen Autorin Judith Schalansky.


Ein Konzeptalbum, ein sehr langes noch dazu, mit Zutaten aus Klassik, Choralmusik, Walzer, Mariachi, Tango - da könnte man auf eine gewisse Streberhaftigkeit des zeitweise in Berlin lebenden US-Singer-Songwriters und Multiinstrumentalisten schließen. Doch die pure, berührende Schönheit der BEIRUT-Melodien und -Lyrics macht solche Einwände schnell obsolet. "A Study Of Losses" - so der Titel des Werks, das man durchaus als Condons Opus magnum bezeichnen darf - ist der komplette Gegenentwurf zur Spotify-Ära: Eine Platte, die ohne "Hits" mit catchy Intros daherkommt und tatsächlich als Ganzes genossen werden will, über die gesamte üppige Laufzeit von 58 Minuten und 2 Sekunden.


Kurz zurück zu Judith Schalansky, der 44 Jahre alten Schriftstellerin aus der noblen alten Ostsee-Stadt Greifswald. Deren Buch stellt der Suhrkamp-Verlag so vor: "Die Weltgeschichte ist voller Dinge, die verloren sind – mutwillig zerstört oder im Lauf der Zeit abhandengekommen. In ihrem neuen Buch widmet sich Judith Schalansky dem, was das Verlorene hinterlässt: verhallte Echos und verwischte Spuren, Geru?chte und Legenden, Auslassungszeichen und Phantomschmerzen." 

So entsehe "ein naturgemäß unvollständiges Verzeichnis des Verschollenen und Verschwundenen", das Buch handele "gleichermaßen vom Suchen wie vom Finden, vom Verlieren wie vom Gewinnen und zeigt, dass der Unterschied zwischen An- und Abwesenheit womöglich marginal ist, solange es die Erinnerung gibt – und eine Literatur, die erfahrbar macht, wie nah Bewahren und Zerstören, Verlust und Schöpfung beieinanderliegen". 

Ja, das klingt doch nach einem Stoff, der zum sensiblen Grübler und musikalischen Weltenbummler Zach Condon passt, der mit BEIRUT 2006 auf dem Balkan startete ("Gulag Orkestar") und stilistische Stationen in Frankreich, Italien, Mexiko und Norwegen folgen ließ. In Auftrag gegeben wurde diese neue Platte mit elf Songs und sieben Instrumentals freilich vom schwedischen Zirkus Kompani Giraff für eine akrobatische Bühnenshow.


Auch in Condons "A Study Of Losses" geht es gleichwohl - wie bei Schalansky - um das Verschwinden, die Vergänglichkeit und den Versuch der Bewahrung, um ausgestorbene Tierarten ("Caspian Tiger"), naturkundliche Legenden ("Guericke's Unicorn"), architektonische Preziosen ("Villa Sacchetti") und literarische Schätze ("Sappho's Poems"), den Prozess des Alterns ("Garbo's Face") - und um andere Dinge, die man verlieren und deren Abwesenheit man dann betrauern kann. Wie schon ganz zu Beginn seiner Laufbahn vor gut 20 Jahren orientiert sich Condon mit BEIRUT an der ausufernden Opulenz eines seiner Lieblingsalben, den "69 Love Songs" von The Magnetic Fields. 

Mit Ukulele, Akkordeon, Klavier, Pump-Orgel, Trompete, Standbass und Mini-Orchester ist das alles sehr einfallsreich produziert, auch wenn über die Spieldauer von fast einer Stunde der Spannungsbogen manchmal (aber nur kurz) durchhängt. Zumal den wehmütigen Streichersätzen und der klagenden, hohen Stimme von Zach Condon durchaus eine sedierende Wirkung zu eigen sein kann. Das (neben "Ghost Train" und "Mani's 7 Books") treibendste Stück "Guericke's Unicorn" fällt daher etwas aus dem Rahmen mit seinem dynamischen Synth-Pop-Arrangement.


Es geht hier um die angebliche Rekonstruktion eines fossilen Einhorns, das in Wirklichkeit aus den Knochen verschiedener Tiere wie Wollhaarmammut und Narwal geschaffen worden war. "Ich war schon immer von diesen bizarren Kapiteln und seltsamen Randnotizen der Geschichte fasziniert, und ich wollte die unorthodoxe, exzentrische Verrücktheit dieses 'Einhorns' in einem verspielteren Song widerspiegeln, der sich etwas vom Rest des Albums abhebt", sagt Condon. "Ich denke, dass meine Musik generell diese unzusammenhängende, chaotische Tendenz haben kann, aber da das ganze Album ansonsten eher einheitlich barock inspiriert ist, ist 'Guericke's Unicorn' wirklich ein Ausreißer auf diesem Album, der seinen Ursprung in einem alten modularen Synthese-Experiment von mir hat.“


FAZIT: "A Study Of Losses" ist bereits das zweite BEIRUT-Album innerhalb von zwei Jahren. Nachdem er sich von hartnäckigen Halsproblemen und einem drohenden mentalen Zusammenbruch erholt hat (und auch wieder live auftreten kann), folgt diese prächtige Platte auf das ebenfalls hochgelobte "Hadsel" (2023), das rund um eine riesige alte Kirchenorgel während eines arktischen Winters in Nordnorwegen entstand. Gut zu wissen, dass sich Zach Condon so vortrefflich berappelt hat. Dem Eintritt in die mittlere Phase der Karriere des 39-Jährigen kann man jedenfalls mit Vorfreude entgegenblicken.

Werner Herpell (Info) (Review 92x gelesen, veröffentlicht am )

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Wertung: 12 von 15 Punkten [?]
12 Punkte
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Tracklist:
  • Disappearances and Losses
  • Forest Encyclopedia
  • Oceanus Procellarum
  • Villa Sacchetti
  • Mare Crisium
  • Garbo's Face
  • Mare Imbrium
  • Tuanaki Atoll
  • Mare Serenitatis
  • Guericke's Unicorn
  • Mare Humorum
  • Sappho's Poems
  • Ghost Train
  • Caspian Tiger
  • Mani's 7 Books
  • The Moonwalker
  • Mare Nectaris
  • Mare Tranquillitatis

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